Beim kommerziellen Fußball bilden für mich mindestens zwei Aspekte eine enorme Form von Faszination. Einerseits die Begeisterung für den taktischen und spielerischen Schlagabtausch im Mannschaftsgefüge. Zum anderen die Identifikation mit dem Verein als charismatische Markenpersönlichkeit. Im März 2020 wurde diese Faszination durch den Lockdown kurzerhand auf Eis gelegt. Gebröckelt hat der Putz des Sinnbildes aber schon vorher für mich. Um das zu beleuchten, spiele ich den Rückpass in die Vergangenheit.
Seit den 90er Jahren folge ich meinem schwarzgelben Fußballclub an die Spielstätte mit der weltbekannten Pylonenarchitektur, dessen Stimmgewalt man an Spieltagen noch kilometerweit im Stadtgebiet vernehmen kann. Stadionbesuche waren Klassenfahrten für die Sinne. Grubenfahrten in Mentalität. Sozialstudien mit Adrenalin-Ausstoß. Und häufig einfach nur nachhallende Feste. Wenn die Spielfreude sich in der Stimmung des Publikums reflektierte und das Stadion zu einem energiegeladenen Tempel aus Euphorie mutierte. Kämpfen bis zum Schlusspfiff und geschlossene Unterstützung unabhängig vom Spielstand waren zwei der prägendsten Vereinswerte, die ich vorgelebt bekam.
So hat die Authentizität von Publikum, Hauptakteuren und Kulisse große Leidenschaft in mir geweckt. Diese wurde sportlich mit den Jahren konsequent in Titeln manifestiert. Ich durfte das glücklicherweise miterleben. Von den aufblasbaren Chiquita Bananen beim DFB-Pokalfinale 1989 bis zur Geburt von Maskottchen Emma 2005. Auf dem Höhepunkt der Identifikation zwischen Zielgruppe und Marke gipfelt der Claim „Echte Liebe“. Eine kommunikative Punktlandung mit der sich das Marketing ein sprachliches Denkmal für die goldenen Zeiten des Dortmunder Fußballs gebaut hat. Repräsentiert durch Jürgen Klopp, der mit „Pöhler“ Schirmmütze auch noch eine wertvolle Identitätsimpfung Richtung Dortmunder Publikum aufzog.
Spielzeiten gingen voran, die Handschrift der Marke veränderte sich. Vor allem, weil der Markenkern „Echte Liebe“ in Form von Klopp nach England wechselte. Die Veranstaltungsemotionen büßten an Charakter ein, da die Spielmentalität seltener Feuer legte. Preise für Eintrittskarten stiegen mit jeder neuen Saison. Ultra Gruppierungen wurden für ihre Definition von Begeisterung sukzessive sanktioniert. Dazu kam ein Videobeweis ins Spiel, mit der Schiedsrichter*innen die Torgültigkeit nachträglich an- oder aberkennen können. Diese verändernden Maßnahmen passieren offensichtlich, um größtmögliche Kontrolle über das Produkt zu behalten. Stadionbesucher*innen entwickeln sich vermehrt zu homogenen Kunden*innen, denen man mit dem angeschlossenen Fanworld-Kaufhaus ein eigenes Clubhaus mit Rolltreppe gewidmet hat. Entwicklungen, die sich in einem kapitalistischen Sportgeschäft nicht vermeiden lassen.
Für mein Empfinden wurde in der Entwicklung von Profit allerdings übersehen, den Kern der Marke weiterzuentwickeln. Und zwar entsprechend der Menschen, die seit Generationen für sie stehen. Es scheint, als würde das Image von Borussia Dortmund immer weniger von Charakterköpfen dieser Stadt aufgebaut, sondern von Touristen, die den Fußball hier als Event konsumieren möchten. Das ist legitim. Allerdings geht es für mich zu Lasten der Glaubwürdigkeit, die man offiziell nach wie vor mit „Echte Liebe“ in der Öffentlichkeit positioniert.
Der durch die Pandemie gebrachte Stillstand der Verkaufsmaschinerie Fußball hat mir offengelegt, wie viel Zeit und menschliche Energie der Fußball in Anspruch genommen hat. Und er hat mir verdeutlicht, dass diese für mich (und andere Fans) nicht mehr im Einklang mit meinem persönlichen Bedürfnis an Identität steht. Für die Herausarbeitung einer neuen Alleinstellung würde ich mir ein mutiges Marketing wünschen, das es versteht, die Relevanz von Vereinswerten fernab von Konsum für die kommunikative Ausrichtung zu übersetzen. Vorausgesetzt die Schnelllebigkeit des Geschäfts hält für solch einen Findungsprozess noch Zeit bereit.